Interview mit Atlas-Sportchef

Interview mit Atlas-Sportchef

08.12.2020

Ein Bericht vom

von Daniel Niebuhr

Leistungsfußball-Leiter Bastian Fuhrken hat mit dem SV Atlas Delmenhorst ein verrücktes Jahr erlebt. Im Interview spricht der Sportchef des Fußball-Regionalligisten über Wertschätzung, Blauäugigkeit und seine Heimatstadt.

Gründervater, Spieler, Aushilfstrainer, Manager – und mittlerweile Leistungsfußball-Leiter und Vorstandsmitglied: Bastian Fuhrken hat beim SV Atlas schon alles gemacht und den Club geprägt wie kein anderer seit der Auferstehung 2012. Seit Sommer spielt der Verein als erste Delmenhorster Männermannschaft seit 21 Jahren in der viertklassigen Regionalliga – ist dort mit nur zwei Punkten aus sieben Spielen aber Schlusslicht. Im Interview spricht der 35-Jährige über die schweren Zeiten für den Amateurfußball und über die eigene Stadt, die 2020 gegen alle Widerstände doch „so viel geschafft hat wie seit gefühlten Jahrzehnten nicht“.

Herr Fuhrken, Sie sind mit Atlas im Sommer voller Euphorie in die Regionalliga aufgestiegen. Fünf Monate später gehen Sie als Tabellenletzter in die vorzeitige Winterpause, von der niemand weiß, wann sie endet – und das Stadion durften Sie noch nicht einmal richtig voll machen. Wie frustrierend ist das eigentlich?

Wir haben uns das sicher anders vorgestellt. Wir sind auch mit Hilfe von Corona aufgestiegen – aber seitdem hat es uns mehrfach getroffen. Als wir im Sommer von Spielen mit mehreren tausend Zuschauern geträumt haben, waren wir wohl alle zu blauäugig – damit meine ich nicht nur uns, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Wir wollten noch nicht so richtig wahrhaben, wie lange die Pandemie uns beschäftigen wird. Jetzt sind wir schlauer.

Was heißt das für den Rest der Saison? Nur noch Geisterspiele? Oder überhaupt keine mehr?

Ich weiß es nicht. Auch wenn es sich alle wünschen: Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass im Frühjahr 2021 nicht unbedingt mehr gespielt werden kann als im Frühjahr 2020, als die erste Welle kam – warum sollte das so sein? Vielleicht wendet sich die Lage, wenn Impfungen möglich werden. Ich fürchte aber, dass sich der Amateurfußball gerade hinten anstellen muss.

Das werden viele nicht hören wollen. 

Ich sehe die Lage vielleicht anders als die meisten. Wir hatten Ausbrüche in unserem Team. Ich habe gesehen, wie Arbeitgeber reagieren, wenn ein Spieler in Quarantäne muss. Man hat eine andere Einstellung zu diesem Virus, wenn man einmal gesehen hat, was passieren kann. Dann verschieben sich die Prioritäten. Wir haben auch eine Vorbildfunktion. Du willst zwar spielen – aber nicht um jeden Preis.

Wie schaut man jetzt zurück auf so ein verrücktes Jahr? Hadert man damit, wie es zuende geht? 

Hadern hilft uns nicht. Für mich war es einerseits ein Jahr mit vielen Schicksalsschlägen, damit meine ich aber Atlas noch am wenigsten. Alle Menschen mussten Entbehrungen durchmachen, Delmenhorst ist das beste Beispiel. Die Divarena musste schließen, viele Kulturveranstaltungen sind ausgefallen. Ich merke an mir selbst, wie sehr mir das fehlt. Vor Corona konnte ich fast jedes Wochenende zu Fuß in die Stadt gehen und immer war etwas los. Andererseits war es aber auch ein Jahr mit vielen Erfolgen.

Meinen Sie den Aufstieg in die Regionalliga?

Natürlich auch, aber ich will das gar nicht nur auf uns beziehen. Delmenhorst hat 2020 doch so viele Dinge geschafft wie seit gefühlten Jahrzehnten nicht mehr. Allein im Sport: Die Frauen des TV Jahn haben den Niedersachsenpokal gewonnen. Die Handballer der HSG Delmenhorst haben die beste Saison ihrer Vereinsgeschichte gespielt, deren A-Jugend hätte es fast in die Bundesliga geschafft. Alles gute Nachrichten für Delmenhorst.

Keine Frage. Corona hat aber doch vieles überschattet.

Gerade deshalb ist es bemerkenswert, was die Stadt alles angepackt hat. Im Stadion gibt es neue Tribünen und eine Lautsprecheranlage. Eine neue Stadionhalle wird gebaut. Der Kunstrasen wird bald kommen. Und dann schaue ich auf die Innenstadt: Der Kauf des Hertiegebäudes und des Krankenhauses gibt Delmenhorst ganz andere Möglichkeiten. In Annenheide, wo ich herkomme, sehe ich zum Beispiel die neue Kita und die Sanierung der Turnhalle. Das hat man alles in schwierigen Zeiten auf den Weg gebracht. Dafür muss man Verwaltung und Politik als Delmenhorster auch mal dankbar sein.

Sie fordern also etwas mehr Stolz auf die eigene Stadt.

Stolz ist vielleicht nicht das richtige Wort. Dann lieber Wertschätzung. Delmenhorst ist, was es ist: eine Malocherstadt, in der einem nichts so einfach vor die Füße fällt. Hinter den Kulissen wird hart gearbeitet, um Delmenhorst voranzubringen. Viele versuchen ehrenamtlich, die Stadt lebenswerter zu machen. Wenn ich an Delmenhorst denke, denke ich an Menschen, die sich für ihre Stadt einsetzen. Die haben Anerkennung verdient.

In sozialen Netzwerken ist Anerkennung leider nicht besonders verbreitet.

Und das stört mich schon lange. Schlechte Stimmung zu machen, ist einfach. Ich würde mir wünschen, dass die positiven Nachrichten genauso verbreitet werden wie die negativen. Man möchte manchen, die sich immer nur beschweren, mal sagen: Meckert nicht, freut euch. Dieses ständige Schlechtreden bringt keinem was. Dadurch verlieren nur die Motivierten die Lust – und wem ist dann geholfen?

Haben Sie denn noch Lust nach acht Jahren Vollgas für Atlas?

Wir kennen uns jetzt lange genug: Habe ich jemals aufgehört, alles für den Verein zu geben? Natürlich werden wir die Mannschaft in diesem Winter weiter verbessern. Das betrifft den Kader, in dem wir noch aktiv werden. Das betrifft die Vorbereitung, die aber schwerer zu planen ist als je zuvor. Wir versuchen, die Dinge, die wir in der Hand haben, zu beeinflussen.

Die Lage ist ernst. Wenn der Spielplan, wie es sich abzeichnet, halbiert wird, wird auch die Zeit für eine Aufholjagd knapp. 

Wir haben Rückstand, keine Frage. Aber der lässt sich mit einer kleinen Siegesserie schnell aufholen. Man muss abwarten, was in der Abstiegsrunde passiert, die Dynamik kann man noch gar nicht absehen. Manche Vereine werden frühzeitig gerettet sein und ganz anders in Spiele gehen als Mannschaften, für die es noch um alles geht. Das spielt eine Rolle.

Am Zusammenhalt liegt es offenkundig nicht. Atlas scheint auch als Tabellenletzter ein verschworener Haufen zu sein.

Der Eindruck täuscht nicht. Ob es die Spieler sind, die Sportliche Leitung, der Betreuerstab oder der Trainer und sein Team – charakterlich passt es gut. Der Spirit erinnert mich an die großen Erfolge. Es macht einfach unfassbaren Spaß in diesem Verein, in dem alle ein bisschen verrückt sind. Das gibt einem immer wieder Motivation.

Kriegt Atlas noch die Kurve?

Das wird sich zeigen, aber eines macht mir Mut. Wir hatten in jedem Jahr bis jetzt mindestens ein Highlight, mal waren es Meisterschaften, mal das Jahrhundertspiel gegen Werder und zuletzt der Aufstieg in die Regionalliga. Nach dem Gesetz der Serie muss 2021 also irgendwas kommen – vielleicht ein überraschender Klassenerhalt.

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