Die in die Jahre gekommenen Sitzschalen im Delmenhorster Stadion verfügen über keine Rückenlehnen, die man zurückstellen könnte – andernfalls hätten sich am Donnerstagabend einige der 800 Zuschauer wohl ein Nickerchen in der Abendsonne gegönnt. Das Oberliga-Spiel des SV Atlas gegen den VfL Oythe war eines der ereignislosesten Spiele seit der Wiedergründung des Vereins vor sieben Jahren, an einem lauen Frühlingsabend mühten sich die Delmenhorster 90 Minuten größtenteils vergeblich um Torgefahr – und um einigermaßen gute Unterhaltung.
Dass das Vorspiel zum Höhepunkt des Jahres am Ende 0:0 ausging – auch weil Marco Prießner mit seinem Matchball fünf Minuten vor Schluss an Oythes Keeper Wilhelm Heise scheiterte – überraschte dann auch niemanden mehr, dass die Fans trotzdem weitersangen ebenfalls nicht. Auf Delmenhorster Seite durfte sich nur Youngster Emiljano Mjeshtri freuen, der in der Schlussphase zu einem Zehn-Minuten-Debüt kam. „Es war kein Leckerbissen“, gestand Atlas-Trainer Olaf Blancke. „Wir sind unzufrieden. Das war vorne viel zu dünn.“
Belohnung für den Sieger: Livespiel in der ARD
Man merkte dem Atlas-Coach an, dass das Spiel auch ihm keinen Spaß gemacht hatte – und so kam er lieber auf das Ereignis zu sprechen, das die Stadt und den Verein eigentlich bewegt: das richtungsweisende Krombacher Niedersachsenpokal-Halbfinale am Ostermontag gegen den 1. FC Wunstorf. Voraussichtlich über 2000 Zuschauer werden da sein, wenn Atlas ab 15 Uhr um den Einzug ins Finale am 25. Mai in Hannover spielt und damit um eine stattliche Summe Geld, einen Auftritt in der ARD-Livekonferenz am „Finaltag der Amateure“ – und natürlich um die Chance auf ein DFB-Pokal-Ticket. „Wir haben uns so lange darauf gefreut, jetzt ist es soweit“, sagte Blancke und machte kein Geheimnis daraus, dass es auch für ihn „ein Highlight in der Karriere“ werden könnte.
Bisheriger Rekord bei 2200 Zuschauern
Zumindest wird es das größte Spiel des Jahres in Delmenhorst. Atlas hat schon früh verkündet, dass man den Zuschauerrekord bei einem Pflichtspiel knacken will, was „wohl zu schaffen sein sollte“, wie Marketingvorstand Bastian Ernst verkündete. 2200 Fans waren am 2. April 2017 beim 0:0 im Landesligaspiel gegen Kickers Emden dabei, nach der Parkplatz-Schlägerei im Hinspiel allerdings auch Dutzende Polizisten und Sicherheitskräfte. Zumindest in dieser Hinsicht besteht gegen Wunstorf kaum ein Risiko, der Aufwand ist dennoch viel höher als bei einem Punktspiel. Atlas öffnet zwei weitere Kassen, Leistungsfußball-Chef Bastian Fuhrken erklärt sogar: „Wir brauchen doppelt so viele Helfer wie für ein Ligaspiel.“
Sollte es gegen den Oberliga-Zwölften Wunstorf zum Sieg reichen, wäre der DFB-Pokal nur noch einen Schritt entfernt. Für den Finaleinzug, um den am Montag zeitgleich im zweiten Halbfinale Eintracht Northeim und der TuS Bersenbrück spielen, gibt es 6250 Euro, der Cupsieger streicht in Runde eins des DFB-Pokals 121 000 Euro ein, von denen ein Viertel aber in einen Solidartopf gehen. Die Reform des Pokals könnte sich für Atlas also richtig auszahlen. Erst seit dieser Saison haben die Oberligisten im neu geschaffenen Amateurpokal keine höherklassigen Gegner und damit einen kürzen Weg auf die große Bühne.
Wunstorf 2019 auswärtsstark
Das Endspiel wird im früheren Eilenriedestadion in Hannover ausgetragen, das offiziell den etwas seltsamen Namen „96 – das Stadion“ trägt und 2500 Fans fasst. „Schon dorthin zu kommen, wäre überragend“, sagt Fuhrken.
Zumindest an der Losfee wird es nicht liegen. Nach einem Freilos in Runde eins bekam Atlas im Achtelfinale mit Blau-Weiß Lohne einen der zwei verbliebenen Landesligisten als Gegner und gewann 3:1, danach gab es das 4:0 gegen Aufsteiger FC Hagen/Uthlede und nun ein weiteres Heimspiel. Einfach wird die Aufgabe aber nicht, denn Wunstorf hat drei der vier Auswärtsspiele in diesem Jahr zu Null gewonnen, zuletzt gab es aber ein 1:3 gegen den SC Spelle Venhaus.
Atlas-Sieg im Liga-Duell
Das Hinspiel gewann Atlas Mitte November durch Tore von Tom Schmidt und Leon Lingerski mit 2:0, es war das letzte Spiel von Trainer Jürgen Hahn. Sein Nachfolger kann nun Vereinsgeschichte schreiben, doch Blancke weiß selbst am besten, dass sein Team dafür wohl die beste Leistung des Jahres braucht. Er hofft, dass der Kater in diesem Fall vor dem Rausch kam – und dem schwachen Oythe-Spiel eine Pokal-Party gegen Wunstorf folgt. „Wir müssen ganz anders auftreten“, sagt er und fordert seine Spieler auf, „sich der Kulisse anzupassen.“ Fuhrken machte den Team Mut: „Im Pokal ist sowieso alles möglich, man muss sich nur mal das 5:4 von Bayern München gegen Heidenheim ansehen.“
Die Wunstorfer schwören sich jedenfalls auf ihre Weise ein. Auf seiner Facebookseite erinnert der Club an die einzige DFB-Pokal-Teilnahme 1974. Eine Rückkehr nach 45 Jahren „wäre für jeden Einzelnen, ob Spieler, Trainer, Funktionär, Fan, Freund und Unterstützer ein absolutes Highlight und nach so langer Zeit auch mal wieder verdient“.