Er kennt sie alle

Er kennt sie alle

Oberliga 29.01.2020

Kaum jemand kennt die Fähigkeiten so vieler Fußballer im nordwestdeutschen Raum

 

von Michael Kerzel

Benjamin Rabe arbeitet im Scouting für den Oberligisten SV Atlas Delmenhorst. Kaum jemand kennt die Fähigkeiten so vieler Fußballer im nordwestdeutschen Raum. Er liefert auch Infos zum jeweils nächsten Gegner.

Wer im nordwestdeutschen Raum besonders gut Fußball spielt, steht in Benjamin Rabes roter Kladde. 80 bis 120 Kicker von der Landes- bis zur Regionalliga verbunden mit Stärken und Schwächen hat der 36-Jährige aktuell gelistet, hinzu kommen Junioren. Davon profitiert der SV Atlas Delmenhorst, denn Rabe ist für das Scouting beim Fußball-Oberligisten verantwortlich.

Der Oldenburger arbeitete mit Trainer Key Riebau schon beim SSV Jeddeloh in der Regionalliga zusammen und analysiert sowohl potenzielle Neuzugänge als auch den kommenden Gegner. Zudem hat er ein Auge auf die eigene Mannschaft. „Bei Atlas sind die Wege kurz, ich berichte direkt an den Trainer und die sportliche Leitung“, sagt Rabe. Mit Riebau und Bastian Fuhrken, Leiter Leistungssport beim SVA, steht er daher in ständigem Austausch. „Ich gebe meine Beobachtungen und meine Ideen weiter. Welche Spieler verpflichtet werden oder wer aufgestellt wird, entscheiden Key und Bastian“, stellt Rabe klar.

Auf der Suche nach neuen Spielern

Aktuell bereitet sich der SV Atlas auf den Rückrundenstart am 8. Februar gegen Arminia Hannover vor. Mit dabei sind zwei Neuzugänge: Aleksandar Jankovic wechselte vom VfB Oldenburg an die Delme, Flodyn Baloki lief in der Hinrunde für RW Koblenz auf. Baloki stand bei Rabe schon länger oben auf der Liste, über Jankovic informierte er sich eher kurzfristig. Doch wie genau läuft das Scouting ab auf gehobenem Amateurniveau?

Jankovic wurde in der Jugend des FC Groningen ausgebildet, spielte in den Niederlanden, der Slowakei und Serbien im Herrenbereich und kickte zuletzt für Oldenburg in der Regionalliga Nord, kam dort achtmal zum Einsatz, erzielte ein Tor und gab eine Vorlage. Das geben die Daten auf dem Portal transfermarkt.de her. Hier informiert sich auch Rabe zunächst, um einen Überblick zu erhalten. „Die Statistiken sind allerdings nicht immer genau“, gibt der Scout zu bedenken. Rabe sucht dann online nach Zeitungsartikeln und Videos, durchforstet auch die sozialen Medien und befragt Leute aus seinem Netzwerk, die den Akteur kennen. „Da hat man ein paar Leute, auf deren Informationen man vertraut. Da geht es auch nicht nur um die fußballerischen Fähigkeiten. Über Aleks habe ich beispielsweise erfahren, dass er in Oldenburg immer höflich und freundlich war, auch auf der Bank keinen Stunk gemacht hat und auch immer pünktlich zum Training kam“, berichtet Rabe. Mithilfe eines Übersetzungsprogramms las er auch niederländische Artikel über Jankovic, machte sich so ein Bild des 24-Jährigen. Der wichtigste Bestandteil des Scoutings bleibt natürlich die Spielanalyse.

Auf sporttotal.tv werden die meisten Partien der Regionalligen und der Oberliga Niedersachsen übertragen und können auch rückblickend geschaut werden. „Ich habe mir alle Spielminuten von Aleks angeschaut. Man sieht schnell, was er technisch kann und dass er schnell und wendig ist“, berichtet Rabe. Positive Eindrücke können jedoch auch daher rühren, dass die Gegenspieler in den jeweiligen Szenen niedriges Niveau haben. „Da schaue ich natürlich drauf. Ich habe bei der Analyse gesehen, dass Aleks gegen teils starke Leute gute Aktionen hatte“, berichtet der 36-Jährige. Im Gesamtpaket gab er die Empfehlung pro Jankovic. Fuhrken entschied, ihn zum Probetraining zu holen, dort überzeugte er Riebau und steht seitdem im Kader.

Die Spieler auf seinen Listen behält Rabe stets im Auge, ebenso wie die Situation in deren Vereinen: „Da schaut man, wer vielleicht gerade wenig zum Einsatz und so vielleicht für einen Wechsel eher infrage kommt. Oldenburg hat seinen Kader umgebaut und hatte zu viele Spieler auf Aleks’ Position. Flodyn hat in Koblenz nur acht Spiele gemacht und wollte weg.“ Besonders im Fokus hat Rabe dabei die Akteure aus der Region. „Eine Vorgabe von Atlas ist, möglichst Spieler aus Delmenhorst und umzu zu holen. Da schaut man natürlich, wer wo gerade aktiv ist“, berichtet Rabe.

Der Oldenburger fängt dabei mit Aktiven ab der U17 an, schaut beispielsweise regelmäßig Spiele des JFV Nordwest, wo der VfL und der VfB Oldenburg ihre Talente bündeln. Vier bis fünf interessante Talente hat Rabe hier genauer unter der Lupe. Kein großes Geheimnis ist dabei, dass U19-Kapitän Willem Hoffrogge hoch veranlagt ist. Der Wildeshauser stehe allerdings bei so ziemlich jedem Verein in Norddeutschland auf der Liste, sagt Rabe. Ein weiterer Name, der künftig interessant für Atlas werden könnte, ist der von Stürmer Luca Liske. Der gebürtige Delmenhorster steht in der A-Junioren-Regionalliga auf Platz neun der Torjägerliste und traf im Test vor rund zwei Wochen gegen den SVA doppelt. „Bei jungen Spielern kann man natürlich schwer sagen, wo ihr Weg genau hingeht, aber man sieht schon, wo es hingehen könnte“, sagt Rabe. Grundsätzlich sei es die Aufgabe eines Scouts, nicht nur zu schauen, wie ein Spieler aktuell agiert. „Als Scout stellt man sich vor, was möglich wäre“, erklärt Rabe.

Bevor er sich entschied, bei den Blau-Gelben mitzumachen, schaute er sich deren Spiele der vergangenen Saison online an. „Auch wenn es da nicht so gut lief, konnte man schon diverse Stärken der Spieler sehen“, erinnert sich Rabe. Seine Vision gemeinsam mit Trainer Riebau sorgte beispielsweise dafür, dass Oliver Rauh nun vornehmlich als Außenverteidiger und nicht mehr als Außenstürmer aufläuft. War er in der Zeit vor Rabe und Riebau eher Joker und offensiv nicht unbedingt effektiv trotz seiner Schnelligkeit, ist er nun unumstrittener Stammspieler und zeigt konstant gute Leistungen.

Der eigene Kader ist jedoch nur eine Randaufgabe Rabes, hier hat Riebau die Verantwortung. „Er kennt die Spieler besser, sieht sie ja bei jedem Training und weiß daher auch, wer wie drauf ist. Ich gebe nur meine Eindrücke weiter, wer eventuell zum kommenden Gegner passen könnte. Den Kader kenne ich natürlich schon“, erklärt Rabe. Die Analyse der Kontrahenten ist während der Saison seine Hauptaufgabe.

Stärken und Schwächen finden

Die Zeit zwischen zwei Spielen ist nicht lang, dennoch schaut Rabe sich immer die vergangenen sechs Partien des nächsten Gegners über 90 Minuten an, die aktuellste besonders ausführlich. Werden die Begegnungen nicht online übertragen, ist er live vor Ort. Rabe notiert sich, in welcher Formation der Kontrahent spielt, wer auf welcher Position aufläuft und wer der jeweilige Ersatz ist. „Anfangs habe ich nur die letzten beiden Spiele geschaut, aber schnell gemerkt, dass das nicht reicht. Wenn man mehr Spiele schaut, gleicht man die Formschwankungen der Spieler aus. Außerdem ist es interessant zu sehen, wie die Mannschaften sich in verschiedenen Situationen, beispielsweise bei Vorsprung oder Rückstand, verhalten“, erklärt Rabe.

Grundsätzlich gebe es, sagt der 36-Jährige, fünf entscheidende Analysefelder: Verhalten mit Ball, Verhalten gegen den Ball, Verhalten nach Ballverlust, Verhalten nach Ballgewinn und Standards. Besonders im Auge hat er wiederkehrendes Verhalten von Spielern: „Zieht ein Außenverteidiger tendenziell nach innen oder versucht er außen vorbeizukommen? Spielt ein Innenverteidiger unter Druck lange Bälle oder bleibt er ruhig? Wer schaltet nach Ballverlusten und -gewinnen schnell um? Benutzt ein Spieler seinen schwachen Fuß so gut wie gar nicht?“, nennt Rabe Beispiele. Er gibt Riebau Empfehlungen, welcher Aufbauspieler attackiert und welcher in Ruhe gelassen werden sollte. „Spielstarke Innenverteidiger kann man beispielsweise pressen, spielschwächere lässt man eher gewähren und stellt hier die Passwege zu“, erklärt Rabe. Auch kann es sinnvoll sein, eher einen dribbelstarken oder einen athletischen Außenbahnspieler aufzustellen. „Natürlich sollte man sein Spiel nicht nur nach dem Gegner ausrichten, aber ich bin davon überzeugt, dass es hilfreich ist, wenn man die Stärken und Schwächen des Gegners kennt und darauf entsprechend reagiert“, meint Rabe. Am Tag vor einer Partie trifft er sich mit Riebau und geht mit ihm die Analyse durch. „Die größte Herausforderung ist, die ganzen Informationen runterzubrechen, damit sie umgesetzt beziehungsweise vom Trainer an die Spieler weitergegeben werden können“, berichtet der Oldenburger.

Am Spieltag selbst greift Rabe kaum noch ein. „Wenn ich dann sehe, dass der Gegner in der erwarteten Formation aufläuft oder dass das Personal wie erwartet ist, dann geht mir das Scouting-Herz auf“, sagt er. Je länger die Saison andauerte, desto schwerer wurde es jedoch. „Je weiter oben Atlas in der Tabelle stand, desto speziellere Sachen haben die Gegner gemacht und nicht mehr so wie in den Spielen zuvor agiert“, berichtet Rabe. Für die Rückserie passt er sein Scouting an und versucht noch stärker zu antizipieren, wie der Gegner umstellen könnte.

Weitere Informationen

Benjamin Rabe, Jahrgang 1983, studierte in Hamburg Sportjournalismus und Sportmanagement. Unter anderem erhielt er dabei Einblicke beim FC St. Pauli. Der gebürtige Oldenburger arbeitete im Anschluss an das Studium beim Regionalligisten SSV Jeddeloh im Scouting, bevor er sich gemeinsam mit Trainer Key Riebau dem SV Atlas Delmenhorst anschloss. Aktuell ist er nebenberuflich Scout und arbeitet hauptberuflich im Bereich Buchhaltung und Management in einem Autohaus.

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