Wenn man so will, dann stand am sonnigen Samstagnachmittag die 55. Spielminute in der Oberliga-Begegnung zwischen dem SV Atlas Delmenhorst und dem MTV Gifhorn irgendwie symbolisch für einen völlig verkorksten Auftritt der blau-gelben Fußballer. Der SVA lag zu diesem Zeitpunkt nach einer katastrophalen ersten Halbzeit zurecht mit 0:2 zurück.
Torhüter Florian Urbainski wollte nun nach einem Freistoß der Gäste, der neben das Tor ging, mit einem anderen Ball das Spiel schnell wieder eröffnen. Im gleichen Moment kam aber das vorherige Spielgerät von den Ersatzspielern, die sich neben dem Tor warmmachten, zurückgeflogen – und plötzlich lagen zwei Bälle im Fünf-Meter-Raum. Der schnell ausgeführte Abstoß misslang also.
Es verstrichen zwar nur ein paar Sekunden von der Uhr, es war noch genügend Zeit für eine Aufholjagd. Doch diese kleine Szene zeigte auch: selbst einfachste Sachen klappten bei Atlas am 10. Spieltag der Saison nicht – und nach 90 Minuten plus vierminütiger Nachspielzeit stand mit 1:3 (0:2) eine völlig verdiente Niederlage. Es war die schlechteste Leistung der Düsternorter seit dem gruseligen Abstiegskick am 11. April gegen den TuS Sulingen in der Vorsaison (0:2).
Schraubendreher Jürgen Hahn
Atlas-Trainer Jürgen Hahn sammelte sich nach Spielende kurz auf seinem Trainerstuhl. Dann setzte er nach der zweiten 1:3-Heimniederlage hintereinander mit ruhiger Stimme, aber deutlichen Worten zu seiner Spielanalyse an – und beschönigte nichts.
Besonders in den ersten 45 Minuten war die Mängelliste beim SV Atlas lang. Eklatant lang. Hahn vermisste Leidenschaft und Konzentration, Teamgeist und Positionsspiel, Zweikämpfstärke und Kommunikation, Staffelung und Laufarbeit. Die Konsequenz dieser Defizite: Der SVA zeigte eine erschreckend schwache erste Halbzeit. „Wir haben alles vermissen lassen, was Fußball ausmacht. Für die erste Halbzeit können wir uns bei den Zuschauern nur entschuldigen.“
Zur Pause führten die Gäste durch Treffer von Gracjan Konieczny (6.) und Marvin Luczkiewicz (27.) mit 2:0. Weitere Tore für Gifhorn waren durchaus möglich. Der MTV verteidigte unaufgeregt in der Abwehr, verschob im Mittelfeld clever die Räume und spielte über seine schnellen Stürmer Konieczny, Marvin Luczkiewicz und Rodi Celik schnörkellos nach vorne.
Angesprochen auf die Abwehrfehler seiner Hintermannschaft schüttelte Hahn nur mit dem Kopf. „Das war alles viel zu passiv“, schimpfte Jürgen Hahn. „Beim 0:1 sind beide Innenverteidiger im Tiefschlaf. Das war von allen ein teilweise desolates Abwehrverhalten.“ Wobei der Atlas-Trainer nicht nur über seine Defensive meckerte. „Ich hätte in der Pause alle elf Spieler auswechseln können.“
Die zweiten 45 Minuten begann Atlas trotzdem mit seiner Startformation, die zumindest etwas besser spielte – was angesichts des katastrophalen ersten Durchgangs auch nicht sonderlich schwer war. Nach dem Anschlusstreffer durch Karlis Plendiskis (63., Elfmeter nach Foul an Marco Prießner) hatte Atlas gegen körperlich nachlassende Gifhorner sogar drei Gelegenheiten zum Ausgleich. Verdient wäre das 2:2 allerdings nicht gewesen. Denn Gifhorn hatte auch mehrere Male sein drittes Tor auf dem Fuß.
Gifhorn sucht die Flucht nach vorne
Dabei stellten die Gäste alles andere als eine Übermannschaft. Der MTV ging personell sogar am Stock. Gäste-Trainer Michael Spies hatte etwa nur noch einen Innenverteidiger zur Verfügung. Weshalb er seine Taktik im 4-3-2-1-System auch dementsprechend offensiv ausrichtete: „Wir wollten angreifen, Attacke gehen und Alarm machen. Etwas anderes war mit dem Personal auch nicht möglich.“
Angeführt vom überragenden Marvin Luczkiewicz und dem zweifachen Vorlagengeber Rodi Celik spielte Gifhorn die SVA-Abwehr ein ums andere Mal schwindelig. Und Gifhorn zeigte den größeren Willen. Exemplarisch stand der 3:1-Endstand durch Konieczny, als Atlas den Konter eigentlich schon geklärt hatte, der MTV im Nachsetzen aber doch noch traf (89.).
Zu diesem Zeitpunkt hatten sich schon Hunderte der rund 750 Zuschauer auf den Heimweg gemacht. Der Glaube daran, dass Atlas doch noch ausgleichen könnte, dürfte trotz der Möglichkeiten zum Ausgleich auch an der Harmlosigkeit im Angriff gelegen haben.
Harmlose Flügelstürmer
Die beiden in die Startelf gerückten Außenstürmer Oliver Rauh und Marvin Osei agierten äußerst glücklos. Osei hatte seine besten Szenen bezeichnenderweise im Defensiv-Zweikampf.
Hahn resümierte: „Gifhorn hatte Qualität im Angriff, wir nicht.“ Man könnte es auch so formulieren: Gut gemeint, (ganz) schlecht umgesetzt. So wie in jener Szene in Spielminute 55.